Mittlerweile ist sie ein Querschnitt durch die Gesellschaft und durch alle Altersschichten, aus einer Jugendkultur ist eine Subkultur geworden. Es gibt viele Grufties mit eigenen Kinder jeden Alters, die immer noch einen Lebensstil pflegen, der Festival-Besuche mit der ganzen “schwarzen” Familie einschließt. Das Online-Magazin Gothic-Family.net erfreut sich steigender Beliebtheit und ist mittlerweile auch Partner vieler schwarzer Festivals, auf denen es auch oftmals mit einem eigenen Stand vertreten ist.
The Cosmic Trigger, by Der Blutharsch and the infinite church of the leading hand
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Die großen Festivals der schwarzen Szene in Köln, Gelsenkirchen, Hildesheim oder Leipzig müssen sich zwangsläufig mit Fragen des Kinder- und Jugendschutzes auseinandersetzen und Regeln formulieren, um die herrschenden Gesetzesauflagen zu erfüllen. Manche Veranstalter gehen jedoch noch einen Schritt weiter und versuchen, Kinder auch über die Bestimmungen hinaus zu schützen. So kündigte die Amphi-Festival GmbH für 2014 an, keine Kinder unter 6 Jahren mehr auf das Festivalgelände in Köln zu lassen, um diese vor den großen Belastungen durch ein solches Großereignis zu schützen. In der Pressemitteilung vom 31. Juli 2013 heißt es: “Ein Open-Air Festival ist für Kinder stets eine große physische und mentale Belastung, der man vor allem kleine Kinder nur in absoluten Ausnahmefällen aussetzen sollte. Leider häufen sich in letzter Zeit Fälle, in denen auch Kleinstkinder und Säuglinge im Kinderwagenalter auf das Festival mitgenommen werden. Viele Eltern schützen Ihre Kinder zwar mit Gehörschutz oder halten sich nur im hinteren Bereich des Geländes auf, aber leider nicht alle.”
Unausweichlich finden es die Einen, denn der Nachwuchs muss geschützt werden. Sie finden das Verhalten der Eltern, die ihre Kinder ungeschützt einer solchen Beschallung ausliefern, verantwortungslos. Bevormundend, finden es die Anderen, denn die möchten sich nicht vorschreiben lassen, was gut und was schlecht für ihre Kinder ist und wie sich zu verhalten haben.

Familie in Schwarz
Gehören solche oder ähnliche Bilder vom Amphi-Festival bald der Vergangenheit an?
Der Blogger und leidenschaftliche Amphi-Besucher Tobikult, der selber Vater eines 2-jährigen Sohnes ist, schrieb dazu in seinem Blog: “[...] heute erreicht mich die Nachricht, dass Eltern mit Kindern unter 6 Jahren nicht mehr mit ihrem Nachwuchs auf das Amphi-Festival in Köln gehen dürfen. Zum Wohle des Gehörs der Kleinen sehen sich die Veranstalter als Anwälte der Kinderohren gegen verantwortungslose Eltern zu dieser Regelung gezwungen. Das klingt alles so bestechend nachvollziehbar und vernünftig! Warum sind wir da nicht schon vor Jahren drauf gekommen? [...] Wo kämen wir denn hin, wenn jeder so leben würde wie es ihm passt? Wäre es mit einem elitären Bildungsnachweis, einem Gesundheitszeugnis und einem “True/Untrue”-Test als Bedingung zum Erwerb einer Eintrittskarte nicht viel schöner am Tanzbrunnen? Die Amphi-Veranstalter toppen noch die feuchten Träume der ambitioniertesten Verhaltensnazis!”
Für Tobikult scheint es unausweichlich, dass er 2014 nicht mehr nach Köln kommen wird, weil die neue Regelung es ihm unmöglich macht, das Festival als Familie zu besuchen. Sicherlich werden es ihm einige gleichtun, während die, die das Amphi-Festival trotzdem besuchen wollen, sich nun bemühen müssen, eine entsprechende Betreuung für ihr Kind zu besorgen. Auch das Mera Luna Festival in Hildesheim müsste er streichen, denn hier gilt die gleiche Beschränkung. Lediglich zwei größere Festivals der schwarzen Szene, die im nächsten Jahr stattfinden, sind für Familien mit Kindern unter 6 Jahren geeignet. Das Blackfield-Festival lockt im nächsten Jahr erstmals mit freiem Eintritt für Kinder unter 8 Jahren, womöglich profitiert man von der frisch eingeführten Beschränkung in Köln. Das WGT wird wohl auch 2014 wieder mit einem eigens eingerichteten Kindergarten, bei dem man seine Kinder für maximal 3 Stunden in betreute Hände geben kann, zahlreiche Familien anlocken.
Natürlich trifft man mit dieser Regelung alle Familien, auch die, die im Sinne der Veranstalter und ihrer Kinder gehandelt haben. Doch wer legt die Maßstäbe fest? Und vor allem, warum gibt es erst jetzt eine Änderung der Regeln, obwohl das Amphi bereits zum 10. mal stattfindet? Werden Eltern immer rücksichtloser? Spontis nahm Kontakt mit Kai Lotze, einem der Geschäftsführer der Amphi Festival Gmbh auf und sendete auch Stefan Mörkens-Köller, dem Betreiber von Gothic-Famliy.net ein paar Fragen um die Sichtweisen und Hintergründe zu beleuchten.
Der Veranstalter

Familienausflug
Die Familie pflegt sich und ihren Lebensstil.
“Wir können die hitzigen Diskussionen zu diesem Thema daher nicht ganz nachvollziehen“, eröffnet Kai Lotze von der Amphi Festival GmbH sein Antwortschreiben und nennt mit Rock am Ring, Summer Breeze, Melt Festival und dem Chiemsee Reggae viele Beispiele von Festivals, bei denen Kinder unter 6 Jahren keinen Zutritt haben. “Eine Altersbeschränkung für Kinder ist bei Festival-Veranstaltungen seit jeher die Regel – und nicht die Ausnahme. Vergleichbare Einschränkungen sind bei vielen Festivals – egal welcher Ausrichtung – zu finden.” Seiner Ansicht nach hat sich der negative Trend, dass Eltern ihre Kinder ungeschützt und direkt vor die Bühne mitnehmen, fortgeführt und sogar gesteigert, “…sonst hätten wir die Beschränkung nicht erst im zehnten Jahr eingeführt.” Als Veranstalter des Festivals sieht er sich in der Pflicht, für das Wohl aller Kinder zu sorgen. “Viele Eltern schützen Ihre Kinder zwar mit Gehörschutz oder halten sich nur im hinteren Bereich des Geländes auf, aber leider nicht alle. Um dem vorzubeugen haben wir uns entschlossen ab 2014 nur noch Kindern ab einem Mindestalter von 6 Jahren Zutritt zum Festivalgelände zu gewähren. Im Sinne der Kinder bitten wir alle betreffenden Eltern um Verständnis.”
Eine Entscheidung, die natürlich auch die Eltern wie Tobi trifft, obwohl er sich immer ganz selbstverständlich um das Wohl seines Kindes gesorgt hat. Lotze sieht hier nicht das Problem: “Man trifft lediglich die Eltern, die bisher überhaupt Kinder unter 6 Jahren mitgebracht haben, und die innerhalb eines Jahres keine Möglichkeit für eine alternative Betreuung finden können. Nach unserer Einschätzung sprechen wir hier von ca. 10 (von 16.000) Besuchern.” Tobi ist mit seiner Familie einer dieser Besucher. Offensichtlich geht man bei der Amphi-Festival GmbH auch nicht von der Möglichkeit aus, dass Eltern ihre Kinder mitnehmen wollen und sie nicht nur bei sich haben, weil sie keine Betreuungsmöglichkeiten organisieren konnten. Von einer Bevormundung der Eltern, die nicht in der Lage sind ihre Kinder ausreichend zu schützen, würde Kai Lotze trotzdem nicht sprechen: “Nicht mehr oder weniger [Bevormundung] als bei anderen Regeln und Einschränkungen. Jede Veranstaltung erfordert eine Vielzahl von Regeln und Einschränkungen – zum Schutze der Besucher.“ Man muss sich an dieser Stelle fragen, ob ein Musikfestival überhaupt der richtige Ort ist, um mit seinen Kindern dorthin zu gehen und ob Festivals überhaupt Familienereignisse sein können.
Die Gothic-Familie

Der Spielplatz auf dem Amphi-Gelände ist der perfekte Tummelplatz auf dem Festival-Gelände.
Seit 10 Jahren arbeitet die Amphi-Festival GmbH auch mit dem Onlinemagazin “Gothic-Family.net” zusammen. Die Betreiber des Festivals erkannten damals, dass die Szene auch für immer mehr Familien ein zu Hause geworden ist und fragten an, ob das Magazin nicht an einer Partnerschaft interessiert sei. Stefan Mörkens-Köller, einer der Mitbegründer des Online-Magazins, beantwortete mir stellvertretend ein paar Fragen zu geplanten Verbot 2014.
Er sieht die getroffene Regelung durchaus zwiespältig: “Ich finde nach wie vor, dass der Tanzbrunnen eine der besten Locations ist, die man als Komplettfamilie bei einem Festival besuchen kann. Durch unseren Gothic-Family.Net Stand direkt am Spielplatz, mit dem Ausgang zum Rheinufer mit Spielmöglichkeiten, dem Park direkt dran, durch den “natürliche” Schallschutz durch den XtraX Stand in der Mitte liegen wir gut geschützt für die Kinderohren [...] Neben den verschiedenen Bastel und Spielmöglichkeiten bei uns am Stand, haben wir ein Stillzelt mit Wickelecke und bieten neben unserem normalen Gehörschutz sogar Peltor Kids-Gehörschutz zum guten Familienpreis an und verleihen ihn sogar stundenweise kostenlos. Dies wurde auch 2013 wieder stark genutzt. Somit bieten wir in Kooperation mit dem Amphi einen guten Rundum-Schutz für alle Kinder. Weswegen etwas verbieten?”
Doch auch Stefan sieht ein Problem mit uneinsichtigen Eltern, “weiße Schafe”, wie er sich scherzhaft nennt, beobachtet er auch auf vielen anderen Festivals. Einen negativen und zunehmenden Trend kann Stefan jedoch nicht wahrnehmen: “Ich muss aber sagen, dass ich in den letzten Jahren immer weniger [Kinder] ohne Gehörschutz sehe [...] Die Ordner, die wir teilweise schon von anderen Festivals kennen, schicken die Eltern ohne Gehörschutz direkt zu unserem Stand oder es gibt “was auf die Ohren” von unseren Eltern, wenn sie eine Familie ohne Schutz sehen. Leider sind ein paar Eltern resistent gegen gute Worte.”
Die einfachste Alternative gegen ein Verbot sieht er darin, dass Kinder und Eltern ohne Gehörschutz einfach nicht auf das Festivalgelände gelassen werden, auch seine anderen Ideen würden das Problem minimieren: “Die Ordner, im Graben achten weiterhin gut darauf und ziehen sonst die Kinder raus, sodass die Eltern sie an der Seite abholen müssen. Konzerte, die ab 18 sind könnten im Staatenhaus gezeigt werden, dass kann man auch gut kontrollieren.”
Für Stefan gehören Kinder einfach dazu. Er findet, dass das Amphi genug Möglichkeiten bieten würde, auch Kleinstkinder ausreichend zu schützen. Verbote sind für ihn kein adäquates Mittel gegen das Fehlverhalten einiger Weniger. Auf die Frage, ob man von einer Bevormundung der Eltern sprechen könnte antwortet Stefan:
Wo willst du anfangen die Kinder zu schützen? Wie gesagt, was ist mit TV? Was ist mit Werbeplakate, mit Radio-Stöhnwerbung? Internet? Ich denke, Verbote sind nicht immer der beste Weg. Unter sechs Jahren ist die magische Phase der Kinder so stark, dass sie alles als Kostüm ansehen, wenn sie sich überhaupt für mehr als Mama und Papa interessieren. Viele unserer GFN-Kinder haben mit OOMPH! “Augen auf” das Zählen gelernt. Dann ab sechs kommen die Fragen “Ist der Frau nicht kalt? Warum leuchten die da vorne?” Ab 12 versteht man die Texte und hat schon Sexualkunde in der Schule. Da fragt man sich, was manches Gebären bzw. Texte auf der Bühne sollen. Also wo fange ich an zu schützen? Und wo leidet die größere Menge, weil ein paar wenige sich falsch benehmen? Ich sag ja auch nicht, dass Knicklichter verboten sein müssten oder Rumschmieren mit roter Farbe (haben meine im KiGa auch gemacht), aber es sollte begrenzte Bereiche geben für bestimmte Angebote, wie auf anderen Messen. Auch dies ist auf dem Amphi am besten machbar.
Räumlich stark beschränkte Gelände ohne entsprechenden Platz sind sicherlich nicht der richtige Ort für Kleinstkinder. Die zweite Reihe bei einem Konzert der Broilers ist sicherlich nicht der richtige Ort für Kinder, auch nicht mit bunten Ohrschützern. Das Amphi bietet neben den schwarzen Festivals in Gelsenkirchen und Leipzig ausreichend Platz. Bleibt die Frage im Raum, ob ein Festival überhaupt der richtige Platz ist um für die ganze Familie aus Ausflugsort zu dienen. Bedeuten Kinder nicht zwangsläufig einen Wechsel des Lebensstils? Die Gothic-Szene ist im Familienalter, mittlerweile versammeln sich auch die Kinder und Jugendlichen der Gruftie-Eltern unter dem 30-jährigen schwarzen Schirm.
Zwischen Kinderschutz und Familienfreundlichkeit
Kinder
Familienleben am Amphi-Eigenen Strand in Köln
Nur damit das mal geklärt ist. Kinderohren sind generell nicht empfindlicher als die der Erwachsenen. Macht ja auch keinen Sinn, denn wer den Lärm einer schreienden Kindergartengruppe erlebt hat, empfindet ein Konzert von KMFDM als Erholung. Es ist die Dauer der Beschallung, die das Gehört schädigt. Quellen? Bitte: Baby und Familie: Wie viel Lärm vertragen Kinder? – Wer mehr ins Detail gehen möchte, dem sei ein Dossier mit dem Titel “Lärm- und Gehörschutz ist (k)ein Buch mit sieben Siegeln” der Musikwoche ans Herz gelegt und wissenschaftlich geht es mit Wolfang Babisch vom Umweltbundesamt weiter: “Lärmwirkung bei Kindern und Erwachsenen” Und ja, ich habe sie mir alle durchgelesen.
Es ist die Dauer der Beschallung, die ein Gehör schädigt. Die fehlende Möglichkeit dem Lärm auszuweichen und die oftmals viel zu lauten Konzerte, die die vorgeschriebenen Grenzwerte überschreiten. Kinder und Eltern sollten sich gemeinsam schützen, die Vorbildfunktion erfüllt immer seinen Zweck.
Vielleicht sollten die Veranstalter des Amphi ihre Entscheidung überdenken und für ein gesundes Miteinander sorgen. Das Wave-Gotik-Treffen, das Blackfield-Festival und die “Spectaculum“-Reihe von Gisbert Hillert scheinen die letzten Bastionen familienfreundlicher Veranstaltungen zu sein, die etwas für alle Mitglieder der Familie bietet. Es gibt ausreichend praktikable Vorschläge dem Problem Einhalt zu gebieten. Verbote können und sollte keine Lösung sein.
Stefan Mörkens-Köller fasst treffend zusammen: “Schließlich wollen wir ja alle, dass die Szene weiterlebt und sich auch erneuert. Wo wären wir ohne Nachwuchs, ohne neue Hörer der Musik, ohne heranwachsende Besucher und somit Ticketkäufer? Ist aber im Endeffekt eine Entscheidung der Veranstalter, die haben das Hausrecht. Nur der Passus “familienfreundlich” bekommt dann einen faden Beigeschmack und bei uns haben sich schon einige Familien gemeldet, die ab 2014 andere Festivals aufsuchen werden. So verliert man zahlende Besucher und potentielle zukünftige Konsumenten.”