excerpt ...

DAF in Wien.

Das hat es ewig nicht gegeben. Nicht allein deshalb nimmt es nicht wunder, dass die Szene ausverkauft ist. Man darf auch annehmen, dass die Deutsch-Amerikanische Freundschaft in ihrem Kürzel internationales Aushängeschild für ‚Deutsch als Fremdsprache’ geblieben ist.

Was hat uns das Duo (das zu Beginn seiner Karriere aus mehr Mitgliedern bestand) heute noch zu sagen, was kann es nach der dritten Reunion in klassischer Besetzung uns noch bringen? – Natürlich: einen Auftritt mit greatest hits!

Der Abend beginnt sehr pünktlich, was manchem, der noch auf kurzfristigen Eintritt hofft, zuwiderlaufen wird. Über die beiden einheimischen Vorgruppen The Pleese und Lox-P sind wenig Worte zu verlieren – beider Sängerinnen haben sich auf verlorenem Posten durchaus bemüht.

Zehn vor zehn kommt dann einfach Robert Görl auf die Bühne, grüßt still ins Publikum, startet mit einem kurzen Intro die Elektronik, um sich gleich hinter das Schlagzeug zurückzuziehen. Gaby Delgado steht auch gleich da: „Guten Abend, Jungs und Mädchen, wir sind die Deutsch-Amerikanische Freundschaft!“
Folgerichtig geht es mit „Verschwende deine Jugend“ los! … Mit etwas anderem kann man auch gar nicht beginnen, wenn man DAF ist bzw. „Ich und ich im wirklichen Leben“. Wir im Publikum fühlen uns auch so seltsam: der Saal ist fast zum Bersten aber nicht zum Brechen gefüllt, die Schwüle drückend, aber die Stimmung gut.

Die meisten Lieder kennen die meisten, und man erstaunt nicht einmal, dass sie bis auf die Ausnahmen von 2003 Jahrzehnte alt sind: ein zeitloses Gefühl verbreitet sich. Ein 51jähriger fordert zum Verschwenden unserer Jugend auf, und wir nehmen es ihm ab. Er sieht ja auch unverschämt jung aus – für sein Alter, gut gehalten, gutes Fitness-Center? – Nur nicht seine Stimme, die brüllt in die Menge, als wenn der Minimalismus der Songs nicht schon expressiv genug rüberkäme. Robert Görl muss dank seiner Hintergrundaktivität an den Drums bescheidener erscheinen, die einmal eingestellte Elektronik dürfte Originalsamples enthalten.
Gleich muss „Der Mussolini“ kommen, – das wollen sie hören … zuvor, einen inhaltlich interessanten Gegensatz bereitend: „Verlier nicht den Kopf“ - Delgado in seinen ruckartigen Bewegungen zieht nach links und nach rechts. Seine klare Schreiperformance macht alles noch schematischer … „Ich will, dass mein Herz schlägt.“ … „Kraft zu Kraft“ – dynamische Ansagen braucht es nicht – die sind in die Texte gepackt … „Muskel“-Spiel – die EBM-Vorreiterrolle tritt klar zu Tage, oder doch ein ehemals avantgardistisch reduziert er Hang zum Totalitarismus? Die Frage wurde in den ganzen dreißig Jahren höchstens gefühlsmäßig beantwortet.

Sie machen fröhlich weiter. Delgado teilt den Inhalt seiner Mineralwasserflaschen redlich mit dem Publikum: reihenweise bekommt es Regen ab. Der Sänger, dessen Brusthaar so markant dunkel über dem schwarzen Hemd zum Vorschein kommt, ist längst schweißgetränkt, begießt sich wie ein Pudel, und in diesem Aufzug gibt er die kleine Überraschung des Abends, ein Cover, das er „ein altes deutsches Lied“ nennt: „Die fesche Lola“ (ironisch nahezu, dass eine Bühnenadaption des ‚Blauen Engels’ erst am Vorabend in der Josefstadt Premiere hatte).
„Rote Lippen“. Und „Sex ist nass“ – der ganze Saal ist nass – „eine neue Version von „Sex unter Wasser“. Und schon gleich: „Mein Herz macht bumm-bumm“. Ja, wird es jetzt noch schwüler? Es macht ihm recht ordentlich Spaß hier.
Soso, aber es passt immer irgendwie. So repititive Textstrukturen scheinen immer Recht zu haben, ihre Eingängigkeit aber auch Parolenhaftigkeit machen den Hörenden wehrlos, er will sich nicht dagegen sträuben, indes mitschwingen. Erfolgreichen Leuten wie DAF ist dieses wohl bewusst.

Nun senkt der Brüllsänger die Stimme tiefer: „es ist so schön“. „Der ganze Raum ist wie verhext, ist voller Sex.“ Sie spielen wenigstens mit ihren Liedern: ein Mix von „Liebeszimmer“ und „Opium“. Dann „Sato Sato“, „Alle gegen alle“ – wieder ein (scheinbares?) Gegensatzpaar: Das eine soll den gemeinsamen Kampf um die Sonne erheischen, das andere bringt die böse kriegerische Uneinigkeit. – Ein militanter Kampfschrei ist dann doch nicht herauszuhören, bei aller Brachialität.
„Nachtarbeit“ wie Agit Prop auf eine gewisse Weise oder recht eigentlicher Electropunk.
„Moschino, Heckler und Koch“ wie das Folgende von der Platte aus dem Jahr 2003 beschwört uns darin, dass Verbrechen sexy und schön sei.

„Alles ist Lüge“ … Es ist nicht schwer, mit dieser Meinung langwährende Modernität zu behaupten. Aber darauf haben wir gewartet: „Als wär’s das letzte Mal“ (man will es ihnen glauben). Ist das doppeldeutig?
Folgerichtig ist nach 55 Minuten der Hauptblock bereits vorüber. Dabei war die Stimmung beim Volke gerade erst auf dem Höhepunkt.
Das Duo lässt sich nicht lange bitten: „Da spielen wir noch was!“

Wieder setzen Originalklänge ein: „Der Räuber und der Prinz“, Gabi verschwindet, während man ihn hört und merkt, dass er über 25 Jahre nicht gut zu seiner Stimme gewesen ist – da steht er vor der ersten Reihe wie der Typ von der Security.
Ein Höhepunkt: „Kebabträume“ – obgleich der Song von der Historie teilüberrollt worden ist: Mauer und Sowjetunion sind vorbei – doch nicht Deutschland, oder? – Wie geht der mündige Mensch mit der Phrase „Wir sind die Türken von morgen!“, um?
Es geht raus und rein; die Zugabeblöcke verstehen sich als Einzelsongs. Einmal noch auf die Bühne, die beiden wirken freudig. Delgado trägt ein frisches Hemd, es gleich dem durchnässten, dafür bis oben zugeknöpft.

So folgt der Beschluss des langen kurzen Abends von bloß 75 Minuten: „Alles ist gut“. Mit der abgetieften Stimme und den weiten Gesten erinnert er an das Gebaren eines Tribunen oder eines …
Unbezweifelbar tragen die Doppelbödigkeit, der ambivalente Charakter ihrer Songs gepaart mit provokativ-wuchtiger Liveperformance unverbrüchlich zum Erfolg von DAF bei. Das dynamische Duo weiß noch heute, was es tut, versteht es in größeren zeitlichen Abständen aus der Versunkenheit in die Legende hervorzutauchen und ein weiteres Mal haarscharf die Kurve zu kratzen, dem Alter und der Lächerlichkeit zu trotzen.
Viel Neues wird möglicherweise nicht dabei herauskommen. Erwartet jemand etwas anderes?

PS: Die Tracklist lässt sich aus dem Review ohne große Mühe herauslesen.