Die sympathischen Upperclass Shoplifters, welche im vergangenen November die 1. Vienna Decay Night eröffnet haben, werden vom Kritiker leider versäumt – dank eines Veranstalterversehens in der Akkreditierung und der damit verbundenen Wartezeit an der Kasse. Man hört, die Gruppe aus Graz hätte sich weiterentwickelt.  

Aus Berlin kommen Herpes: gleichfalls jung und auch noch rotzig – so wie man sich „Post-NDW-Punk“ vorzustellen habe (welche Unter- und Zwischenschubladen sich die Journaille immer wieder ausdenkt …). Freche, frische, aggressive deutschlandkritische Gitarre- Keyboard-Schlagzeug-Combo, deren Sänger dynamisch über die Bühne turnt und mit überschlagender Stimme Botschaften im Minimalstil verbreitet. Der Gitarrist steht in Unterwäsche da. Mal mehr hören!

22 Uhr und 2 Minuten die, die wirklich aus den 80ern, nein: 70ern stammen! Ob an Fehlfarben die besten Zeiten, die dann kurz gewesen wären, vorbeigegangen sind, oder sie erst in den besten Jahren stecken, wird jeder für sich beurteilen dürfen.
Schon, erst, 2002, als sie im Zuge einer Reunierungswelle ihr erfolgreiches Album: „Knietief im Dispo“ herausbrachten, musste sich Freund Hein in Interviews die Altersfrage gefallen lassen, schien sie sich ebenso nicht zu verbeißen – so im Sinne der Selbstvorwegnahme wird der vielleicht nicht ganz untote Sänger die eineinhalb Stunden den Zeichen der Zeit widmen: „Ihr habt die Uhr, wir die Zeit“ entsprechend dem Untertitel eines in Folge gebrachten Songs aus dem neuen Albums, das promotet werden will. Wie zum Überfluss steht das Motto in Selbstanfärbung auf dem T-Shirt des Vortragenden – sieht ein bisschen nach bemalter Spitalsbekleidung aus, die anderen Musiker beleuchtungsunterstützt im Neonfarbenlook vor uns.

Fehlfarben wollen keine lebende Legende sein? Oder alte Hunde? – Schließlich bezeichnet man sonst Zuchttiere so, deren Fellfarben nicht dem Standard entsprechen. Die Selbstdarstellung während des Konzertes erweist sich ähnlich wie die Abhandlung der wechselvollen Bandgeschichte auf der offiziellen Homepage als Gratwanderung zwischen Ironie und leichter Beweihräucherung. Gleichwegs ihr Erscheinen in Körpersprache und Styling – leicht gewollt, nicht geschmollt.

Sogar die Titel stehen für Publikum lesbar in Kurzform. Die Texte selber muss Peter Hein gegen die Gitarre anschreien, sprechsingen, öfter kommentieren. Er redet gerne, die Band unterbricht ihn schon mal, intoniert, während er plaudert.

Und schließlich wird auf das wohl Bekannteste nicht verzichtet: „Es geht voran“, ironischerweise auf der Anschlagtafel als ‚Nix geht vor’ angekündigt – das war schließlich das Lied, das die Band gar nicht mochte und gegen ihren Willen auf den ersten Longplayer kam.  

Es folgen so Ansagen wie: „Früher habe ich ja Witze über Drahthersteller gerissen.“ Ob sich das auf den Eisernen Vorhang bezog?

Und was ursprünglich Ska und Punkeinfluss war, ist nicht so recht mehr herauszuhören, dafür gerät aus der Eingespieltheit kurzfristiger Ansatz von Funk.
Was fällt noch auf: Neues bringen sie authentischer, glaubhafter aber auch eingängiger. Das trifft etwa auf „Im Sommer (nach der Krise)“ zu: „Eiscreme – Sonnenöl/ Leiden wird wieder schön“.

Vehement gibt sich Wienbewohner Hein politisch, was Österreich betrifft: Wir sollen doch keine Angst vor ‚denen’ haben. So vermengen sich die Themen Zeit und Angst während des Auftritts. „Neues Leben“ („Wir haben Angst, aber leider keine Zeit dafür“). Auch „Club der schönen Mütter“ wird heute ein Lied über (falsche) Mütter, das Herr Hein speziell dem österreichischen Bundespräsidentenwahlkampf ‚widmet’. „Schlaflos nachts“ (immerhin aus der heinlosen Zeit stammend), dann das offiziell letzte Lied, welches mit etwas Alterspathos angekündigt wird: … schon wieder neu, trotzdem: „Wir warten“ …

Der erste Zugabenblock ist rasch erklatscht: Der Sänger hat sein T-Shirt gewechselt, neues Aufschrift das Zitat „Wir sind die Glücksmaschinen“. Kaum wieder zu erkennen: „Die wilde Dreizehn“ mit leichter Zeilenänderung: Ich will was tun, was nicht in der Krone steht! …
Und man dreht sich und schaut durch den wohlgefüllten Saal: Wer in diesem heterogen zusammengesetzten Publikum fühlt sich etwa unwohl?

Im Übergang ein eindringliches Synthesizergewaber … irgendwie ahnen wir, hier wird Ernst gesammelt für „Paul ist tot“: Es bleibt, wenngleich so oft gehört, erhebend. Manch wer schließt da seine Augen.
„Handbuch für die Welt“ – dazu zieht er sich wieder ein Jäckchen an.
Eins haben sie noch geübt, soso, eins von den ersten: „Grauschleier“.
Oh ja: die ‚neue deutsche Jugend’ – sie lebt und rockt, auch in ihren Fünfzigern.
In eigenen Worten:
„Wir leben, wir sind Glücksmaschinen
Wir sind noch längst nicht ausgeschieden
Uns kann man ruhig mal falsch bedienen
Denn wir sind die Glücksmaschinen“

Playlist:

Glücksmaschinen
Ernstfall
Gottseidank nicht in England
Imitation of Life
Teufel in Person
Politdisco
Am Ende das Meer
Stadt der 1000 Tränen
Es geht voran (Nix geht vor)
Schnöselmaschine
Neues Leben
Im Sommer
Chirurgie 2010
Club der schönen Mütter
Schlaflos nachts
Wir warten

Die wilde Dreizehn
Paul ist tot
Handbuch für die Welt
WWW
Grauschleier
(Angaben ohne Gewähr)

Aktuelles Line-up:
Peter Hein – Stimme
Michael Kemner – Bass
Frank Fenstermacher – Keyboards, Gitarre, Perkussion
Uwe Jahnke – Gitarre
Saskia von Klitzing – Schlagzeug
Pyrolator (Kurt Dahlke) – Synthesizer, Klavier, Laptop

Stetig aktualisierte Webseite: http://www.fehlfarben.com/