Das Interview mit Vincent Cassidy führte Walter Robotka.
Was bedeutet der Name Section 25 eigentlich?
Der Name bezieht sich auf Sektion 25 des britischen "Mental Health Act", der besagt, dass eine Person gegen ihren Willen 28 Tage lang in einer Psychiatrischen Anstalt angehalten werden kann.
Wann und wie habt ihr denn die Band gegründet? Und warum?
Mein Bruder Larry und ich haben die Band 1977 ins Leben gerufen. Zuerst waren es nur wir beide, er am Bass und ich an den Drums. Er war in London ins College gegangen und hat sich viele Punkclubs dort angesehen, das war sozusagen die Initialzündung. Wir haben eine Band gegründet, weil wir uns voller kreativer Energie fühlten und das rauslassen wollten. Also haben wir eine Menge Lärm gemacht und wollten, dass uns die Leute zuhören.
Hat euch dabei jemand zu der Zeit beeinflusst?
Wir haben viel Can, Sex Pistols, Throbbing Gristle und so gehört. Wir haben Genesis damals sogar angeschrieben und ihm unsere Kassetten geschickt. weil wir wollten, dass er Rezensionen über uns in seinem Newsletter schreibt. Aber ihm hat meine Art Schlagzeug zu spielen nicht gefallen.
Habt ihr Euch Teil einer Szene gefühlt damals?
Ja, wir waren Teil unserer Szene in Blackpool (Stadt nahe Manchester, Anm.), mussten aber ein bisschen weiter fahren, zB nach Manchester, um Gleichgesinnte zu finden.
Und wie kam dann der Deal mit Factory Records zustande? Wie war denn das so, bei Factory zu sein?
Nun, wir waren mit Joy Division befreundet und haben sie gefragt, ob sie ein Benefizkonzert in Blackpool mit uns und OMD spielen würden. Damals hat uns Rob Gretton, der Manager von Joy Division zum ersten Mal live gesehen und er mochte unseren nihilistischen Groove. Er dachte wohl, wir würden gut in die Situationisten-Bewegung passen, die damals bei Factory populär war. Also nahm er uns mit in ein Studio und wir nahmen unsere erste Factory Single mit Ian Curtis und Rob als Produzenten auf. Bei Factory zu sein war für mich damals vom Gefühl her so, wie die letzten Tage vor den Ferien in der Schule zu erleben. Du kannst machen was du willst, ohne dich irgendwie schuldig fühlen zu müssen. Das war die Atmosphäre, die Tony (Wilson, Anm.) mochte. Er wollte die kreative Energie der Musiker haben und daran teilnehmen, er ermunterte uns sozusagen dazu.
Oft heisst es ja, Factory hätten Unsummen für die Gestaltung der Cover ausgegeben - Euer Album "Always now" wird da gern als Paradebeispiel genannt....
"Always now" gilt bis heute als das teuerste Plattencover aller Zeiten und ich werde das nicht bestreiten. Wir mussten ja damals selber den Typen, der das spezielle Papier für das Innen-Cover hergestellt hat, bezahlen. Das Problem mit den teuren Covers war aber schlimmer für die Künstler als für das Label.... was Factory beinahe umgebracht hätte, waren schlecht beratene Immobiliendeals. glaubt keine andere Geschichte!
Wie hat sich die Band denn danach weiterentwickelt?
Wir haben immer mit einfachen Ideen angefangen, aber sie weiterzuentwickeln, wurde immer schwieriger. Für mich ist Kunst der Transfer von emotionalen Inhalten, du kannst das machen, indem du auf eine Radkappe klopfst, oder einen Oberheim-Synthie spielst. Der Spirit zählt dabei, alles andere ist unwichtig. Ich mache es, weil ich mich manchmal zornig fühle, und wenn ich das rauslasse, hilft es.
Wann ist denn die Elektronik dazugekommen?
Elektronik ist ein Werkzeug wie jedes andere. Ich mag Maschinen, ich mag ihren Klang, und sie reden nicht blöd zurück, wenn Du sie anschreist ;-)
Hast Du eigentlich ein liebstes Album aus der Zeit? Oder einen liebsten Song? Viele meinen ja, "From The Hip" wäre Euer Meisterwerk.
Ich mag "Key of Dreams", für mich war das eine tolle Zeit, wir waren damals komplett ehrliche Musiker.
Was geschah zwischen 1984 und 1988? Ihr habt damals eine lange Auszeit genommen....
Larry und ich beschlossen, die Musik nur mehr auf Sparflamme köcheln zu lassen, damit wir uns nicht gegenseitig umbringen würden. Wir hatten beide Familien und Familien kommen manchmal einfach vor der Kunst.
Danach gab es wieder zehn Jahre lang eine Pause..... Wann habt ihr denn beschlossen, doch wieder Musik zu machen?
Larry kam mich im Jahr 2000 besuchen, traurigerweise wegen Jennies Tod (Larrys Ehefrau, Anm.). Musik zu machen und live spielen begannen wir erst 2006 wieder!
Haben die Re-Issues auf LTM (Re-Issues des gesamten Backkataloges, Anm.) geholfen, ein neues Publikum für Section 25 zu finden?
Auf jeden Fall! Die Leute wollten uns wieder hören und die Re-Issues waren wirklich wichtig, wir waren auch eine der ersten Bands, die eine eigene Website hatten. Das klingt heute vielleicht blöd, aber damals, 1990, war das ziemlich radikal und auf einmal konnten wir direkt mit unseren Fans in Kontakt sein.
Ich weiss nicht, ob Du darüber sprechen möchtest, aber Section 25 haben zwei Schlüsselmitglieder verloren....
Ja, das ist sehr schmerzhaft. Wir sind ja nicht nur Band, sondern auch eine Familie, mein Bruder und seine Frau sind gestorben. Ich denke an ihn eigentlich täglich.
Wenn Du den Sound der Band heute beschreiben müsstest, was würdest Du sagen?
Aufrichtende Melancholie aber mit der beruhigenden Sicherheit einer Maschine.
Wer spielt zur Zeit in der Band?
Neben mir, Bethany Cassidy, Joanna Cassidy (neu als Background-Vocalistin), Stuart Hill (Gitarre) und Steve Stringer (Bass).
Und ist diese Band komplett anders, als ihr in den Achtzigern wart, oder setzt ihr da nahtlos fort?
Der Spirit und der Sinn dahinter sind, hoffe ich, derselbe!
Habt ihr denn den Sound im Laufe der Zeit modernisiert?
Wir benutzten immer das beste Equipment, das wir kriegen können, genauso wie am Anfang. Sowas ist schwierig im Vorhinein zu planen.
Gibt es heutzutage Bands, die Euch beeingflussen?
Ich höre eigentlich immer alles mögliche Zeugs, Musik fasziniert mich immer noch genau so, sowohl als Hörer als auch als Musiker. Es ist einfach eine unglaubliche gemeinsame Erfahrung und die ist mir heute noch genauso wichtig wie damals, oder wichtiger.
Und mit den Bands von damals, seid ihr da noch mit jemandem in Kontakt?
Ich habe eigentlich mit den meisten alten Factory Leuten noch Kontakt, nun, zumindest mit denen, die noch leben. Manchmal ist es schwer die Leute zu sehen, weil sie keine Zeit haben. In England sagt man dazu "Ein Pfeifchen und Hausschuhe". Mittelalte Leute, die immer zuhause sind, fernsehen.
Und ihr, spielt ihr oft live heutzutage?
Seit wir 2006 wieder angefangen haben, live zu spielen, haben wir ca. 40 Gigs auf der ganzen Welt gespielt. Ich würd nie nur wegen des Spielens wo auftreten, es muss mich auch so interessieren, so wie das in Wien. Im Normalfall treffen wir uns einmal in der Woche auf einem Industriegelände und machen eine Menge Lärm, das nehmen wir alles als Sketche auf, hören es dann durch und 10 Prozent kommen dann als fixe Songidee am Ende raus. Wir sind zwar ein Familienunternehmen, aber nochmehr eine Gang. Im Schnitt spielen wir 10 Konzerte im Jahr.
Seit wann ist den Bethany (Tochter des verstorbenen Sängers Larry, Anm.) in der Band?
Ich habe sie einfach gefragt, ob sie singen will, denn sie kann das und ich dachte, sie kann dabei sicher sehr ihre Gefühle ausdrücken. Zum Glück hatte sie nie solche Ambitionen vorher, das heisst, sie hat kein Riesenego, wie viele andere Sänger.
Sind Euch die Texte wichtig?
Sehr sogar. Du kannst den Leuten eine Botschaft schicken, wenn sie zuhören wollen. Den richtigen Gedanken sozusagen in die richtige Person einpflanzen.
Wer ist und war denn verantwortlich für die Lyrics?
Die Musik war immer ein gemeinsamer Prozess, aber die Texte kamen immer von meinem Bruder Larry und seiner Frau. In jüngster zeit von Beth und mir. Auf einer Nummer hat Steve Stringer ein paar Worte beigesteuert.
Zu guter Letzt, fühlt ihr Euch eigentlich als typisch britische Band?
Nein, vielmehr europäisch in Zugang und Ausdruck. Wir sehen ein weniger weiter über den Tellerrand hinaus und sind weniger wertend als andere.