Wie die Flaschenpost der Piratenpartei informiert, fordert Stefan Herwig, Labelchef der Plattenfirma Dependent, Künstler und Label der Gothic- und Alternativeszene auf, eine Petition zu unterzeichnen, die sich um die Richtigstellung der Inhalte aus dem Anti ACTA-Videos “Was ist ACTA?” bemüht. Im Kreuzfeuer der Petition steht vor allem Bruno Kramm (Das Ich), der dem mittlerweile 3 Millionen mal angeklickten Video seine Stimme entlieh. In einem langen Statement geht der Aktivist und Gegner des Abkommens auf die Vorwürfe ein und verteidigt die Grundidee des Videos.

Zugegeben. Das Video ist propagandistisch und zeigt viele Informationen und Annahmen des geplanten ACTA-Abkommens aus einer überspitzten und provokativen Sicht, die nicht unbedingt förderlich für eine sachliche Diskussion sind. Doch das beruht offenbar auf Gegenseitigkeit. Wir erinnern uns an die Kampagne der Filmindustrie: “Raubkopierer sind Verbrecher”, bei der beispielsweise die Familie eines inhaftierten Raubkopierers vor dem Gefängnis ein Geburtstagsständchen bringt. “Mama, wann kommt Papa? – Noch viermal singen.”  (Video) Gezielte Provokation als Mittel zum Zwecke der Breitenwirksamkeit? Ein fraglicher, aber effizienter Weg.

Fakt ist aber, dass die Informationen auf denen dieses Video beruht, bereits 2008/2009 von Wikileaks veröffentlicht wurden und sicher nicht mehr ganz zeitgemäß sind, nachdem nun immer mehr Informationen über das Abkommen bekannt werden. Bruno Kramm gibt in seinem Statement zu: “Auch wenn ich nicht alle Positionen des Clips teile und weiß, dass vieles überspitzt, beziehungsweise aus heutiger Sicht auf das Original-ACTA-Dokument sogar falsch darstellt, stehe ich zu der wichtigen Kernaussage: Transparenz, gerade in Verhandlungen, die so wesentliche bürgerliche Rechte betreffen. Das ist auch das grundsätzliche Problem von ACTA.” Das hat er in ähnlicher Form bereits in den Kommentare zu dem von ihm synchronisierten Video getan.

Was möchte Stefan Herwig, der Künstler wie Apoptygma Berzerk, Covenant oder auch VNV Nation betreut, nun wirklich? In seiner Petition fordert er die Politik auf, “…sich zu einer Urheberrechtsdebatte zu bekennen, die die Musikwirtschaft weder als Ganzes noch in Teilen diskreditiert. Das Urheberrecht muss dringend überholt werden, jedoch nicht indem es Musiker und Verwerter gegeneinander ausspielt oder die Musikwirtschaft generell als „versagendes Geschäftsmodell“ verzerrt.”

Ein Stück vorher heißt es: “Die Entscheidung, welche Art der Wertschöpfung, welche Partner wir für unsere Arbeit, unsere Musik und unseren Lebensunterhalt wählen, haben weder Bruno Kramm, noch Anonymous, noch Netzpolitiker wie Jimmy Schulz (FDP) oder Malte Spitz (Bündnis 90/Grüne) zu bewerten oder gar einzuschränken.”

Es scheint also um den Verdienst zu gehen, um Lebensunterhalt für die Künstler und das Geschäftsmodell der Plattenlabel.  Natürlich sollte ein Künstler von seiner Arbeit leben können, dem stimme ich uneingeschränkt zu. Doch was verdient so ein Künstler überhaupt an seinem verkauften oder heruntergeladenen Album?  Von rund 16€ Verkaufspreis bleiben dem Künstler selbst 1,58€ (9,9%)1 wird die Single für 0,99€ heruntergeladen, bleiben dem Künstler sogar 0,19€ (19%)2. Nehmen wir an, das etwa 3000€ Brutto zum Lebensunterhalt reichen würden, so müsste der Künstler rund 1.900 Alben im Monat verkaufen. Ich denke, das sind für viele Künstler aus der schwarzen Underground- und Independent-Szene utopische Zahlen.

Kein Wunder also, dass mittlerweile viele Künstler den direkten Weg eingeschlagen haben und ihre Werke direkt über das Netz an die Ohren der Hörer bringen. Die Nine Inch Nails oder auch Radiohead, zeigen wie es gehen könnte. Bruno Kramm findet in seinem Statement deutliche Worte:

Underground-Kultur wurde gerade durch das demokratische Instrument Internet zu einer weltweiten Bewegung. Festivals und Szenetreffen wie das Wave Gotik Treffen mit Besuchern aus der ganzen Welt wären niemals ohne die Informationsverbreitung und Filesharing im Internet möglich. Wer jetzt Urheber gegen Konsumenten aufhetzt, wie es Herwig tut, bringt eine Szene, die so von der freien Partizipation abhängt, ins Ungleichgewicht und vergiftet das Klima zwischen dem Urheber und dem Musikfan. Und darum geht es eigentlich: Herwig ist der Vertreter einer Industrie, die heute in dieser Form nicht mehr gebraucht wird. Aus diesem Grund haben sich ja auch viele der großen Künstler, darunter auch einige von Herwigs ehemaligen Labelkindern endlich in die Freiheit gewagt und vermarkten sich selbst.

Krieg der Wertschöpfungskette – Kommentar

Es geht mir persönlich nicht um das Urheberrecht, es braucht zwar dringend eine Reform, ist aber grundsätzlich völlig richtig. Das was Künstler und Bands kreieren, muss geschützt bleiben. Aber ist es hilfreich, etwas so streng zu schützen, dass niemand mehr davon erfährt? Es nervt mich, dass ich ein gutes Lied nicht mehr bekannt machen kann, weil es auf Youtube oder anderen Kanäle ständig gelöscht wird, da ein Rechteverwerter seine Ansprüche darauf erhebt. Ist das wirklich im Sinne des Künstlers?

Ich habe früher Stunden vor dem Radio verbracht und Titel, die ich gut fand, mitgeschnitten. Ich habe die Kassetten mit meinen Freunden getauscht und war stolz, wenn ich wieder einmal ein Mixtape erstellt hatte, das Anklang fand und von dem man sich Kopien anfertigte. Fand ich eine Band großartig, habe ich mein Taschengeld gespart und es zum nächsten Plattenladen getragen um auch endlich ein Album mit allen Liedern in den Händen zu halten.

Heute benutze ich das Internet. Stöbere stundenlang bei Youtube, interessiere mich für eine Band und versuche mit selbstgebrannten CD den Genuss meiner Entdeckungen ins Auto zu tragen. Ich schicke meinen Freunde die Neuentdeckungen und versuche auch sie zu begeistern, oder lade mir einzelne Stücke oder ganze Alben herunter, um mir einen eigenen Sampler zu erstellen. Gefällt mir eine Band, kaufe ich mir ihre Alben, besuche Konzerte und hänge mir Poster der Künstler an die Wand. Ich gebe dafür heute sicherlich mehr Geld aus, als früher.

Ich bin froh, wenn Kreative auch kreativ mit ihren Werken umgehen. Sie beispielsweise unter einer CC-Lizenz in Netz stellen, Videos selbst ins Netz bringen oder einzelne Lieder kostenlos zum Download bereit stellen. Ich werde neugierig, kaufe mir ein ganzes Album, besuche ihre Konzerte und vielleicht schlürfe ich sogar meinen Kaffee aus einer Tasse die das Bandlogo ziert.

ACTA schützt meiner Ansicht nach nur die Verwerter und Rechteinhaber, nicht aber die Künstler. Vielleicht leiden Musiker vor allem durch die Verträge vieler Plattenfirmen, die sie dazu zwingen, nahezu alle Rechte ihrer Werke abzutreten. Doch das ist -oder war- die Entscheidung jedes einzelnen Künstlers selbst. Die Zeiten der Labels ist jedoch nicht vorbei, ihre Arbeit für die Künstler ist oftmals unverzichtbar und lässt dem Schaffenden den nötigen Spielraum, weiter kreativ zu bleiben, anstatt sich nur um die Selbstvermarktung zu kümmern.

Wir brauchen auch weiterhin engagierte Label, die den Künstlern die Arbeit erleichtern, um Ihnen so mehr Raum für Kreativität zu schaffen. Wir brauchen auch Künstler, die sich offen im Netz bewegen und so versuchen, ihren Werken ein breiteres Publikum zu ermöglichen. Wir brauchen aber auch Hörer, die bereit sind die Angebote wahrzunehmen und das Internet nicht als kostenlosen Wühltisch betrachten.

Was wir nicht brauchen, ist ACTA. Ein Abkommen, das an der demokratischen Idee vorbei durchgesetzt wird. Es macht aus Künstlern, Labeln und Konsumenten keine Wertschöpfungskette, sondern Feinde. Das Internet wird durch ständig neue geheime Abkommen, Verbote und Konsequenzen ein undurchsichtiger Dschungel voller juristischer Tretminen. Was macht jemand, der sich nicht sicher ist, ob er ein Musikvideo weiter verbreiten darf? Was macht jemand der sich nicht sicher ist, ob er ein Bild des Künstlers auf seiner Internetseite veröffentlichen darf? Was machen all diejenigen, die in mühevoller Arbeit selbst erstellte Videos mit einem Ausschnitt ihrer Lieblingslieder schmücken?

Sie lassen es.

Die Popularität sinkt, die Einnahmen schwinden. Underground-Bands bleiben ungehört, großartige neue Bands werden nicht mehr von Hörern entdeckt. Das Überangebot an talentierten Musikern und kreativen Ideen erstickt an sich selbst, weil Musik-Zeitschriften nicht in der Lage sind, der Flut an neuer Musik gerecht zu werden. Erfolg hat der Künstler, der sich vermarkten lässt und nicht und nicht der, der mit neuen Ideen und neuer Musik nicht existente Märkte eröffnen will.